Fürwahr, eine wahre "Wüllneriana"
Es ist ruhig geworden um die einstige Gelehrten- und Künstlerfamilie Wüllner, deren Ursprünge in einem kleinen Dorf im Sauerland liegen. Über drei Generationen hinweg waren ihre talentierten Familienmitglieder mehr oder minder Personen der Öffentlichkeit. Sie hinterließen nach ihrem Ableben eine Menge an biografischen Erkenntnissen, die einst in den Gazetten Beachtung fanden und heute nur noch für einschlägig Bewanderte in wenigen Aufsätzen ihren Niederschlag finden. Die Genealogie zum Zweig der Familie Wüllners ist dennoch ein, wenn auch kleiner Teil unserer näheren Heimatgeschichte. Sie ist in Eslohe wenig bekannt; so wenig, dass es einst nicht reichte, den Protagonisten Franz Wüllner in den illustreren Kreis der „Esloher Köpfe“ im DampfLandLeute-Museum aufzunehmen. Doch widmete 1995 die Historikerin Dr. phil. Magdalena Padberg aus Eslohe ihm einen Aufsatz mit dem Titel: „Die Wüllners aus Sallinghausen – Eine steile Familienkarriere“ (01).
Wenn sie auch detailreich ausführt, so lässt Frau Padbergs Beitrag Erkenntnisse aus der Sicht des Hofchronisten vermissen. Das soll nun nachgeholt werden. Es wird fürwahr eine wahre "Wüllneriana"!
Die Erfolgsgeschichte eines barfüßigen Dorfjungen
Johannes Franz Wüllner aus Sallinghausen (1798 – 1842)
Die Geschichte beginnt mit einem barfüßigen Buben, der mit einem Ranzen auf dem Rücken seinen Schulweg ging. Dieser führte vom Nurks Hof in Sallinghausen zur einklassigen Schule nach Eslohe. So sah die Historikerin den Schuljungen Franz Wüllner, der als jüngstes Kind seiner Eltern Johannes und Maria Margarethe Wüllner, geborene. Nurk, am 27.11.1798 in Sallinghausen geboren wurde.
Im Alter von 12 Jahren erlebt Franz den damals üblichen Abschluss der Schulzeit. Noch ist für ihn nicht erkennbar, dass er einmal einen Lebensweg gehen würde, der ganz anders verläuft als es Dorfkindern in damaliger Zeit vorbestimmt war.
Nun bleibt ihm eigentlich nur die Wahl ein ordentliches Handwerk zu erlernen oder sich als Knecht auf einem Hof zu verdingen. Bereits früh wird man erkannt haben, dass der Junge wissbegierig, neugierig und talentiert ist. Der Schulbesuch ist für ihn weder Last noch Mühe.
Heute weiß man, dass Talent nicht nur eine einzelne Spezialfähigkeit ist und ein Blick in die Geschichte zeigt das an vielen Beispielen: Mozart z.B. konnte mehr als nur gut komponieren. Er hatte eine unendlich vielfältige Beziehung zur Musik. Und so wird an mannigfaltigen Erlebnissen mit dem jungen Franz Wüllner erkennbar gewesen sein, dass eine große Begabung in ihm steckte. Selten aber entwickeln sich Talente von ganz allein. Zur Entfaltung braucht es Förderung und diese wurde in damaliger Zeit den Kindern aus klein-bäuerlichen Verhältnissen üblicherweise nicht zuteil.
Die Talente des jüngsten Sprosses sind offensichtlich, doch die Mittel Franz zu fördern, stehen den Eltern nicht zur Verfügung und so werden sie sich weigern, Gedanken an ein weiteres Studium des Jungen zu verschwenden. Dennoch geben sie dem Drängen ihres Sohnes nach und Franz kann in Arnsberg einen auf einige Monate beschränkten „Normalkurs“ belegen um sich dem Lehrfach zu widmen.
In Hellefeld als Hilfslehrer beim Schulvikar kann er erste Erfahrungen im Schuldienst machen bis ihm die Aufgabe übertragen wird, die Nebenschule in Isingheim eingehen zu lassen. (02)
Die Eltern
„Mein Vater war tätig, bieder, nüchtern, fromm, heiter und oft scherzend; meine Mutter religiös, gottergeben, geduldig, heiter, wohltätig, demütig.“ (Zitat des jüngsten Sohnes Franz)
Da kein männlicher Hofnachfolger vorhanden, wird Maria Margarete Nurk, (* Sallinghausen 20.09.1756 + 05.06.1817) Erbin vom väterlichen Hof in Sallinghausen.
Am 29.1.1783 heiratet sie in der Esloher Pfarrkirche den aus Sögtrop stammenden Johannes Wüllner (* Sögtrop 20.10.1756 + Sallinghausen 03.04.1815). Mit ihm kommt der Name Wüllner auf Nurks Hof in Sallinghausen.
Acht Kinder gehen aus ihrer Ehe hervor, jedoch sterben drei im Kindes-
Zeit für Trauer und große Entscheidungen
Am 3.4.1815 um fünf Uhr in der Frühe, stirbt der geliebte Vater Johannes Wüllner an Schwindsucht und nur vier Tage danach folgt ihm im Tod die Tante, die älteste Schwester der Mutter, Elisabeth Nurk. Sie war Nonne bei den Norbertinerinnen in Oelinghausen und wegen Auflösung des Klosters durch die Säkularisation auf ihren elterlichen Hof in die Obhut der Familie zurückgekehrt. Zu der Trauer über den Verlust seiner Lieben gesellt sich nun auch eine persönliche Enttäuschung. Franz bewirbt sich in Eslohe auf eine offene Lehramtsstelle. Doch es wird ein anderer Bewerber ihm vorgezogen. Das ist wohlmöglich eine Lektion für den ehrgeizigen jungen Mann, die ihn für sein weiteres Leben nachhaltig prägt.
Nun, im Jahre 1816, trifft der Achtzehnjährige eine für seine Zukunft wichtige und ebenso mutige Entscheidung: Er fasst den Entschluss nicht als einfacher Landschullehrer tätig zu werden und strebt stattdessen ein weitergehendes Studium an. Im „Königlichen Gymnasium Laurentianum“ in Arnsberg beginnt Franz in der untersten Klasse sein Studium. Vermutlich wurde seine Entscheidung durch folgenden Umstand erleichtert: Von einer Schwester der Mutter, die Klosterfrau Maria Margaretha Nurk, die wie ihre Schwester Elisabeth auch bei den Norbertinerinnen, jedoch im Kloster zu Rumbeck lebt und im gegründeten Armenfonds ihrer Priorin Peters beteiligt ist, erfährt Franz finanzielle Unterstützung. Der Fonds fördert u.a. „arme Gymnasiasten in Arnsberg“ und studierende Familienangehörige, sodass die Annahme nicht unbegründet ist, dass sie ihrem Neffen auf diese Weise finanzielle Mittel zukommen lässt und dessen Entscheidung zum Studium so erst ermöglicht. Dadurch eröffnen sich für den talentierten und aufstrebenden Dorfjungen unvorhersehbare Möglichkeiten einer geistigen Entwicklung. Er hat jetzt, aus einfachen Verhältnissen stammend, eine nie zuvor gekannte und erahnte Zukunftsperspektive, die er zu nutzen weiß.
alter, darunter zwei Mädchen die als Zwillinge auf die Welt kamen. Die überlebenden Kinder, drei Töchter und zwei Söhne, werden später im Testament der Mutter bedacht, wobei es dem ältesten der Söhne, Franz Joseph Wüllner, vorbehalten ist, nach dem Tode der Mutter den Hof zu übernehmen.
Das Schicksal des Zweitgeborenen und gleichsam jüngsten Kind der Eheleute, der am 27.11.1798 geborene Johannes Franz Wüllner, ist damit eigentlich besiegelt. Dennoch wird mit ihm, dem Kind einer Bauernfamilie, das in einfachste Verhältnisse hineingeboren wurde, ein Familienzweig begründet, der weit über die Grenzen des Sauerlandes hinaus in vielfältiger Weise Geschichte schreibt und Bekanntheit erlangt.
Wenn eine Mutter stirbt
Schon nach wenigen Monaten wird das Studium für Franz durch eine schwere Erkrankung der Mutter überschattet. Maria Wüllner, geb. Nurk, sieht sich am 2.3.1817 genötigt, den Amtsschreiber Schmitz kommen zu lassen um ihren letzten Willen zu dokumentieren.
In ihrem Testament verfügt sie, dass der Hoferbe Josef Wüllner seinem jüngsten Bruder Franz „welcher sich dem Studium gewidmet“ acht Jahre hindurch, die voraussichtlich zur Vollendung seines Studiums erforderlich sein werden, jedes Jahr dreißig Thaler nebst Schuh und Leinwand abzugeben hat. Entbunden von dieser Leistung soll der Hoferbe jedoch sein, wenn das Studium vor dieser Zeit geendet hat. Die Mutter wird von ihrer Krankheit nicht geheilt und stirbt am 5.6.1817.
Trotz dieser sorgenvollen familiären Ereignisse setzt Franz seinen vollen Elan daran, vorzeitig sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Bereits nach vier Jahren legt er mit glänzendem Abgangszeugnis erfolgreich sein Abitur ab und beginnt 1820 sein Universitätsstudium der klassischen Philologie in Bonn.
(Das Seminar für Klassische Philologie wurde wenige Monate nach Inauguration der Universität Bonn am 19.02.1819 gegründet. Daraus entstand der Antrieb, 1833 das Rheinische Museum für Philologie zu gründen, welches seitdem eines der wichtigsten Publikationsorgane der Altertumswissenschaften ist. Quelle: Wikipedia).
In Bonn erregt Franz bald mit hervorragenden Leistungen Aufmerksamkeit und findet dadurch öffentliche Unterstützung. Das lässt weitere Studien in Berlin zu, wie Dr. Magdalene Padberg in ihrem Aufsatz zu berichten weiß, und es folgen Lehrtätigkeiten in Arnsberg und am Münsteraner Gymnasium Paulinum (1824-1829). In Münster lernt Franz die Tochter eines Tabakfabrikanten Josephine Winkelmann kennen.
Die Sprachforschung, ein weiteres Betätigungsfeld
Zitat von Franz Wüllner: „Es gibt schwerlich eine zweite Sprache der Welt, die eine so grundlose und ungeschichtliche Schreibung hat, als die neuere Deutsche.“
Neben seiner pädagogischen Tätigkeit findet Franz Wüllner eine weitere Lebensaufgabe: Das Interesse an klassische philologische Themen und der vergleichenden Sprachforschung, worüber er seine ersten Schriften verfasst und veröffentlicht.
Als Sprachforscher vertritt er den Standpunkt, dass die Sprache aus Empfindungslauten hervorgegangen und dass aus denselben die sprachlichen Wurzeln zu erklären sind. Alle Sprachen der Erde seien verwandt und aus einer Ursprache, dem Sanskrit, hervorgegangen. Franz Wüllner steht in seinen Forschungen in Konkurrenz zu Franz Bopp (1791 – 1867), ein anerkannter deutscher Sprachwissenschaftler, der als Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaft gilt. In seinen Schriften geht Wüllner selbstbewusst auf Bopps Thesen ein, zustimmend, kritisierend aber auch argumentierend.
Seine Forschungen, die der Festigung seiner Thesen dient, werden ihn auch in den folgenden Jahren beschäftigen und physisch bis zur Erschöpfung in Anspruch nehmen.
Sein Motto (Auszug aus seiner Vorrede zu Casus und Modi 1827):
„Lob oder Tadel von anderen wird mich nie kümmern.“
Verbundenheit mit Daheim
Während seiner arbeitsreichen Studienjahre verliert Franz den Kontakt zu seinem Elternhaus nicht. Die Geschicke dort sind ihm nicht gleichgültig, zumal er durch erworbene Kenntnisse und Überzeugungen in Ethik und Philosophie sich als das moralische Gewissen der Familie sieht.
So wird sein Schreiben vom 3.4.1824 anlässlich des neunten Todestages des Vaters an seinen Bruder Josef in Sallinghausen verständlich.
Darin ermahnt er ihn „an den ernsten Tag für uns alle, an dem unser guter Vater starb, an den wir alle mit Freuden und mit kindlicher Liebe denken müssen und an den wir uns stets im Gebet erinnern sollen. Glaube mir, lieber Bruder, ich habe schon viele, sehr viele Menschen kennengelernt, aber blutwenige oder vielmehr ganz und gar keinen, den ich mir, wenn es möglich wäre, statt seiner zum Vater wünschen möchte. Und dies ist das Beste, was er uns hinterlassen hat, nämlich das gute Beispiel. Wir wollen es befolgen, damit wir auch einst in Ruhe entschlafen können. – Du wirst doch auch noch wohl täglich an ihn und unsere gute Mutter denken? Denn unserer seligen Mutter sind wir dasselbe und denselben Dank schuldig. Doch ich brauche dich nicht zu ermahnen. Von diesem, was ich dir hier schreibe, sollst du Garnichts reden, aber unsere Schwester kannst du gelegentlich an diese Gedanken erinnern.“
Damit ist die Schwester Theresa gemeint. Denn das Testament der verstorbenen Mutter führt später unter den Geschwistern offenkundig zum Streit, da ausgerechnet Theresia, die selbiges als Zeugin mitunterzeichnet hatte und zwei Jahre danach, 1819, den Kaiser in Linnepe heiratet, wohlmöglich unter dem Einfluss ihres Ehemannes das mütterliche Testament anfechtet. Der Brief von Franz macht die dadurch hervorgerufene Missstimmung unter den Geschwistern deutlich.
Der Streit um das Erbe der Mutter hat noch einige Jahre angehalten und wird auch nach Beschluss des Esloher Gerichtes vom 28.11.1828, in dem Theresias Ansinnen endgültig abgelehnt wird, noch nachklingen.
Beruflicher und privater Aufstieg
1825 kehrt Franz nach Bonn zurück und promoviert mit höchster Benotung zum Doktor der Philosophie. Seine Doktorarbeit verfasst er in lateinischer
Sprache.
1829 wird er, gerade dreißig Jahre alt, zum ersten Direktor des neu gegründeten Gymnasium Petrinum in Recklinghausen ernannt. Einer seiner Schüler ist der aus
Drolshagen stammende Sauerländer Heinrich Bone. Dieser, später als Pädagoge tätig und als Verfasser von Schulbüchern und Kirchenliedern bekannte Dichter, macht 1831 hier unter der Obhut von Franz
Wüllner sein Abitur und wird daselbst ein Vierteljahrhundert später zum Direktor des Gymnasium Petrinum (1856 bis 1859) ernannt. Er ist ein Bewunderer von Franz Wüllner „dem sein Beruf etwas mehr
ist als ein bloßes Routinegeschäft“. Unter Wüllners Leitung, die 1832 endet, blüht das Gymnasium rasch auf. Ein Verdienst liegt u.a. auch darin, dass er den Grundstock für eine umfassende
Lehrerbibliothek schafft. Etwa 350 Bände kann er durch eine gönnerhafte Spende des Herzogs von Arenberg für das Gymnasium erwerben.
Auch sein Familienglück findet Franz durch seine Vermählung mit Josephine Winkelmann und die Geburt des ersten Kindes Franz jun. am 28.1.1832 in Münster, im Elternhaus seiner Angetrauten. Die junge Familie zieht kurze Zeit später nach Düsseldorf, der neuen beruflichen Wirkungsstätte. Franz Wüllner tritt im Herbst 1832 hier die Nachfolge des bisherigen Direktors des Königlichen Gymnasiums an. Sein Vorgänger Theodor Brüggemann wird nach Koblenz versetzt. Das Schulhaus ist erst 1830 im klassizistischen Stil in der Alleestraße neu erbaut worden. Düsseldorf ist eine Beamtenstadt und auf Bildung wird Wert gelegt. Günstige Voraussetzungen also für einen Einstieg und neue Herausforderungen für den strebsamen Schulleiter Franz Wüllner.
Die Geschicke des Hofes daheim
Am 3.5.1833 wird Justizamtmann Lohmann und sein Amtsschreiber nach Sallinghausen gerufen. Sie finden „den von Person bekannten Testator in seiner Schlafstube vor“. Nun ist es Bruder Josef Wüllner, der „sich in durchaus ungeschwächtem Gebrauche seiner Geisteskräfte“ befindet, jedoch durch eine Krankheit gezeichnet seinen letzten Willen zu Protokoll geben will. In einer umfangreichen Niederschrift räumt er seiner erst 31 Jahre jungen Ehefrau die Nutznießung über den gesamten Nachlass bis zur Zeit der Großjährigkeit des Haupterben ein. Das Recht soll sie auch dann haben, „wenn sie auch zur zweiten Ehe schreitet; nur bedarf sie alsdann beim Aufnehmen von Kapitalien und Verpfänden von Grundstücken der Genehmigung meines Bruders, des Gymnasialdirektors Franz Wüllner oder in dessen Ermangelung des vormundschaftlichen Gerichts.“
Dadurch wird deutlich, dass der Kontakt zum Elternhaus in Sallinghausen noch ungebrochen ist und dass ihm dort Einfluss auf die Geschicke des Hofes bewusst eingeräumt wird. Auch nach dem baldigen Tod des Bruders Josef, der am 2.8.1833 „an Auszehrung“ viel zu früh verstarb, hatte ein guter Rat des Onkels wohl immer noch Gewicht und Akzeptanz.
Keine Erkenntnisse bestehen darüber, ob jemals ein Besuch der Familie im Elternhaus in Sallinghausen stattgefunden hat. Ganz sicher hat Franz seinen Kindern Geschichten aus eigenen Kindertagen erzählt und von der sauerländer Heimat berichtet. Das wird später aus der Veröffentlichung eines 1881 verfassten Briefes zwischen dem ältesten Sohn Franz Wüllner jun. an dessen Freund Johannes Brahms erkennbar. Zitat: „Mein Vater stammt, wie du weißt, aus Sallinghausen, einem kleinen sauerländischen Dorf, dessen Bewohner seinen Erzählungen nach mit der göttlichen Forderung „Bete und arbeite“ wirklich ernst machen.“
Die letzten Jahre seines Schaffens
Die aufstrebende Stadt Düsseldorf zieht immer mehr Leute an und die aufkommende Industrialisierung schreitet voran, die andere Bedürfnisse nach einer angemessenen Erziehung weckt. Dem wird durch eine neue Schulform, die 1835 eingeführt wird, begegnet. Weder das neuhumanistische Gymnasium mit seiner Geringschätzung der Naturwissenschaften und neuen Sprachen, noch die überfüllten, vielerorts nur einklassig geführten Volksschulen sind in der Lage die Ansprüche der Arbeitswelt zu bedienen.
Das immer noch an den klassischen Fächern und als Schule der geistigen Elite orientierte Gymnasium kann nicht mit der praxisorientierten Realschule mithalten. Franz Wüllner wird in seiner Verantwortung als Gymnasialdirektor die Zeichen einer veränderten Zeit erkannt haben, die nach einer Anpassung und Umorientierung verlangte. Andererseits wird er den selbst gesteckten hohen und edlen Anspruch nicht einfach dem aufkommenden Zeitgeist opfern. Er befindet sich in einem kräftezehrenden Zwiespalt und muss handeln, denn die Konkurrenz mit der „Realanstalt“ führt unter seiner Leitung bereits zu einem Einbruch der Schülerzahlen.
Gleichzeitig betreibt Franz trotz wechselnder gesundheitlicher Konstitution mit Hingabe seine Arbeiten zur Sprachforschung. Zu den vorherigen Schriften: „De cyclo epico poetisque cyclicis“ (Münster 1825); „Die Bedeutung der sprachlichen Casus und Modi" (1827); „Ueber Ursprung und Urbedeutung der sprachlichen Formen“ (1831) erscheint 1838 die viel beachtete Ausgabe „Über die Verwandtschaft des Indogermanischen, Semitischen und Tibetanischen“. Heinrich Bone ist es schließlich, der einige Texte Wüllners in das „Deutsche Lesebuch für höhere Lehranstalten“ übernimmt.
Auch seine Familie, zwischenzeitlich sind vier weitere Kinder geboren, bedürfen seiner Aufmerksamkeit und Liebe. Franz Wüllner erkennt die Talente seiner Kinder und fördert sie. So beginnt Franz Wüllner jun. unter Anleitung des Vaters schon im sechsten Lebensjahr Lateinisch, im achten Griechisch zu lernen und mit zehn Jahren besucht er bereits die Quarta (entspricht der Jahrgangsstufe 7. Klasse) des Düsseldorfer Gymnasiums. Besonders ausgeprägt ist jedoch dessen Musikalität. Mit acht Jahren tritt er öffentlich als Geiger auf und als Quintaner komponiert er sein erstes Werk für Chor und Streichorchester. Auch der jüngere Sohn Adolf, welcher am 13.6.1835 in Düsseldorf das Licht der Welt erblickte, hat von seinem Vater den Hang zur Forschung und zu den Wissenschaften geerbt. Über das Schicksal der weiteren drei Geschwister ist nichts bekannt. Magdalene Padberg vermutet in ihrem Bericht ihr vorzeitiges Sterben, wohlmöglich durch damals nicht seltene Infektionskrankheiten, wie Typhus.
Der Tod als Folge einer geistigen Überanstrengung?
Franz Wüllner hat sich Zeit seines Lebens nicht geschont, obwohl ihm bekannt sein musste, dass Wüllners Familiengut allgemein nicht mit robuster Gesundheit gesegnet war. Sein Streben nach Bildung und Selbstverwirklichung kannte keine Grenzen. Sein großer Fleiß war musterhaft, aber machte ihn rast- und ruhelos. So sehr er von seinem Tun überzeugt war, es war für ihn niemals zur Genüge. Die Folgen „seiner geistigen Überanstrengung blieben nicht aus“: Am 22. Juni 1842 stirbt Dr. Franz Wüllner im Alter von 44 Jahren in Düsseldorf. Überarbeitung hatte seinen Körper geschwächt, der „einer heftig auftretenden Krankheit“ nichts entgegensetzen konnte. Er starb durch einen Blutsturz infolge einer Lungen-Krankheit.
Sein Tod wurde allgemein betrauert und das Mitgefühl mit der Witwe und ihren fünf Kindern ist groß. Im Katholischen Missionsblatt folgt eine theatralische Lebensschilderung mit dem Titel „Das Bild eines edlen Mannes“. „Stille Größe“ heißt es in einer anderen Mitteilung: „Still war sein Leben, groß sein Geist und seine Seele“.
Und weiter wird beschrieben: „In seinem Geiste aber lebte eine solche Schärfe und Klarheit, dass es keinen Gegenstand gab, über den er nicht sofort mit zerlegender Genauigkeit und rasch aufbauender Sicherheit hätte urteilen, reden und Leitung geben können. Daher begleitete seinen Namen und seine Werke, wohin diese gelangten, unbedingte Achtung; wer aber seiner Persönlichkeit genossen, verehrte ihn ; wer sein Freund war, der liebte ihn mit ungetrübter Treue, und wer zu seinen Vertrauten gehörte, der fühlt sich eine Welt entrissen durch seinen Tod.“
Anmerkungen:
01. Jahrbuch des Hochsauerlandkreises 1995, Seite 74: „Die Wüllners aus Sallinghausen – Eine steile Familienkarriere“ von Dr. Magdalena Padberg
02. Pfarrer Dornseiffer, "Geschichtliches über Eslohe", Seite 180: "In einem Reskript des Großherzoglichen Hessischen Kirchen- und Schulraths zu Arnsberg vom 13. Juli 1815 wird dem Normalisten Wüllner aus Sallinghausen befohlen, die Nebenschule in Isingheim eingehen zu lassen."
Hier zur Einsicht der 1995 veröffentlichte Aufsatz, verfasst von der aus Eslohe stammenden Dr. phil. Magdalena Padberg. Sie starb am 5.3.2019 und verfasste "Die Wüllners aus Sallinghausen - Eine steile Familienkarriere". Die Historikerin veröffentlichte einige vielbeachtete Werke der Sauerländer Heimatliteratur.
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