Ein Geschenk kehrt zurück

Erinnerungen an den Bauingenieur Ferdinand Besche


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(C) Wilhelm Feldmann

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Erinnerungen an den Bahnbau Finnentrop-Wennemen
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Anfang Dezember 2024:

Der Autor, Frau Lieselotte Reinartz, geb. Besche (Mitte) und ihre Schwester Gabriele Besche im Foyer des Museums
Der Autor, Frau Lieselotte Reinartz, geb. Besche (Mitte) und ihre Schwester Gabriele Besche im Foyer des Museums

 

Sie kamen nicht mit leeren Händen, als ich zwei älteren Damen im Foyer unseres Museums meine Hand zur Begrüßung reichte. Es waren Frau Lieselotte Reinartz, geb. Besche und ihre Schwester Gabriele Besche, die mir überraschend ein dickes Buch überreichten.

 

Das entpuppte sich zu einem über einhundert Jahre alten Bilderalbum mit historischen Fotos vom Bau der Eisenbahnstrecke Finnentrop-Wennemen in den Jahren 1906 bis 1911. Es war der ausdrückliche Wunsch der beiden, dieses dem Archiv des DampfLandLeute Museum zu überlassen.

 

So nahm ich, dem entsprechend und nicht ahnend, welche Geschichte sich hinter diesem Geschenk verbirgt, das Album mit Dank entgegen. Erst bei unserem Gespräch, das nach einer kleinen Führung durch die Ausstellung endete, wurde mir bewusst, dass dieses Album neben seinem historischen auch einen ideellen, persönlichen Wert für meine Museumsgäste darstellte. 

 

Ein Geschenk, das mehr war als eine Aufmerksamkeit

 

Denn es war einst ihrem Großvater, dem Bauingenieur Ferdinand Besche als Geschenk überreicht worden. Schenkgeber war das Baugeschäft der Gebrüder Roß mit Sitz in Niedereslohe und Niedersalwey (01). Das kleine Unternehmen war damals mit Arbeiten beim Bahnbau involviert. Der Mitinhaber Johann Roß sah es wohl als begründet an, zur Erinnerung an das denkwürdige Ereignis der Eröffnung der neu erbauten Bahnstrecke im Januar 1911 und als Dank guten Zusammenwirkens dieses als Geschenk zu übergeben. Das beweist eine persönliche Widmung auf der Innenseite des Einbandes.

Die im Album enthaltenen großformatigen Schwarz-weiß-Fotos, zweiundzwanzig an der Zahl, entstanden im damals in Eslohe und der Filiale Fretter ansässigen „Photo-Atelier“ des Johann Schulte. Dessen Geschäft soll im Haus Vollmer an der Hauptstraße in Eslohe gewesen sein. Im Jahre 1912, also kurz nach Fertigstellung der Bahnverbindung, zog der Fotograf von Eslohe fort. Wo er blieb ist nicht überliefert (02).

Die Ablichtungen entstanden entlang der neuen Bahntrasse und zeigen Ansichten, die dem Archivar nicht unbekannt sind. Diese fanden bereits ihren Platz in dem 2011 vom DampfLandLeute – Museum herausgegebenen Buch „Abfahrt 1911“. Die Fotos hatten demnach mit großer Wahrscheinlichkeit eine weite Verbreitung.

Dennoch ist die Tatsache bemerkenswert, dass dieses einst überreichte persönliche Geschenk nach so vielen Jahren den Weg nach Eslohe zurückgefunden hat. 



Dahinter steckt eine Geschichte: 

 

Die umfangreichen Planungen und Baumaßnahmen, die letztlich in die Fertigstellung der Bahnstrecke führten, war für Eslohe und den umgebenden Raum ein großer Meilenstein in der wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Entwicklung. Von dieser profitierten nicht nur das heimische Gewerbe, die Land- und Forstwirtschaft und der Fremdenverkehr. Jeder einzelne Bürger erfuhr durch sie eine verbesserte Anbindung an das Verkehrsnetz. Schließlich steckte damals der Gebrauch der Automobilität noch in den Kinderschuhen. Der Bahnbau wurde allgemein begrüßt, sehnlichst erwartet und die für den Bau Verantwortlichen allgemein nicht ungern gesehen. 

Eisenbahntunnel Kückelheim/ Fehrenbracht nach seiner Fertigstellung
Eisenbahntunnel Kückelheim/ Fehrenbracht nach seiner Fertigstellung

Unter der Leitung des Regierungsbaurat Fritz Rose aus Bochum begannen im September 1906 Vorbereitungen, die bereits im Juni 1907 in die ersten Bauarbeiten mündeten (03). Jetzt begann, u.a. auch der Tunnelbau zwischen Kückelheim und Fehrenbracht, den man heute als Teil des Sauerland-Radringes „Fledermaustunnel“ nennt (04). Die Jahreszahl 1907 war einst am Tunneleinlass in großen Lettern sichtbar. Doch der schwarze Ruß von dampfbetriebenen Lokomotiven überdeckte es im Laufe der Zeit. 

 

Ein Tunnelbau, seine Tücken und ganz viel Glück

 

Die Bauaufsicht am Tunnel wurde einem Bauassistent aufgetragen. Diese verantwortungsvolle Aufgabe traute man dem erst 22jährigen Bauingenieur Ferdinand Besche, in Bad Oeynhausen geboren und aufgewachsen, zu. Der ehrgeizige junge Mann konnte gewiss zu Beginn seiner Arbeit nicht ahnen, welche berufliche Herausforderung ihm bevorstehen würde. Auch dass sich hier sobald sein persönliches Lebensglück erfüllen könnte, war ihm im Traum nicht vorhergesagt. 

Besche nahm seine Aufgabe ernst und übte sie gewissenhaft aus. Ohne Vorankündigung inspizierte er die Baustelle am Tunnel immer wieder und betrat auch die Baugerüste, um die Arbeit der Steinmetze und Bauarbeiter näher in Augenschein nehmen zu können. Das war vermutlich nicht unbegründet, denn es war eine rauhe Gesellschaft, die sich beim Bahnbau zusammenrottete, darunter auch heimische und zum großen Teil italienische Arbeiter. Die Sorgfalt des jungen Bauingenieurs war einigen nicht recht und dessen jugendliches Alter mit ein Grund, seinen Anweisungen nur mit Argwohn zu folgen.

Ein Maurerpolier aus Isingheim soll es gewesen sein, der sich eines Tages einen schlechten Scherz erlaubte. Als Ferdinand Besche wieder einmal das Gerüst besteigen wollte, gab eine Bohle nach, deren Unterlage man kurz zuvor entfernt hatte und nun wie eine Wippe wirkte. Beim Sturz von der Gerüstbohle wurde Besche verletzt, hatte aber noch großes Glück. Mit einem gebrochenen Arm in der Schlinge setzte er seine Arbeit unverdrossen fort (05).


Ein Flirt nach Feierabend und die Folgen

Gastwirtstochter Theresia Schulte aus Eslohe, Foto um 1910
Gastwirtstochter Theresia Schulte aus Eslohe, Foto um 1910

Eines schönen Tages lernte Ferdinand in Eslohe eine junge Frau kennen und lieben. Theresia Schulte war die Jüngste von insgesamt acht Geschwistern, Kinder des Land- und Gastwirts Caspar Schulte (1835-1915) und seiner Ehefrau Gertrud, geborene Hitze (1844-1902).

Der Tradition verpflichtet, hielt Ferdinand beim künftigen Schwiegervater um die Hand der Tochter an und am Dreikönigstag im Januar 1910 feierte das junge Paar Verlobung. Der Abschluss der Bauarbeiten lag nicht mehr in weiter Ferne und neue berufliche Aufgaben warteten auf den Heiratswilligen.

Im Juni 1911, ein halbes Jahr nach Freigabe und feierlicher Eröffnung der Bahnstrecke, trat das Paar in der Esloher Pfarrkirche St. Peter und Paul vor den Traualtar. Pfarrer Johannes Dornseiffer erteilte ihnen den ehelichen Segen. 

 

Das Ehepaar zog nach Altenhundem, der neuen Wirkungsstätte des Gatten.

Pünktlich erblickte das erste gemeinsame Kind das Licht der Welt: Ferdinand Besche jun wurde Ende März 1912 in Plettenberg geboren. Es folgten die Geschwister Gertrud, Hans und Franz-Josef, den später alle nur „Minor“ nannten (ist Latein und bedeutet: „Kleiner“).

 

Ferdinand Besche sen., blieb vom Einsatz im Ersten Weltkrieg (1914-1918) verschont. Nach 1920 zog die Familie nach Düsseldorf, wo der Vater als Eisenbahningenieur eine feste Anstellung erhielt. 


Fotos aus glücklicher Zeit



Ein Leben endet in schwerer Zeit

 

Die Jahre gingen ins Land, die Kinder wuchsen heran und wieder zeichnete sich der Beginn eines zweiten großen Krieges ab. Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Bereits im Mai 1940 fielen die ersten Bomben auf Düsseldorf. Sie war zu Kriegsbeginn die Stadt der Industrie und der Verwaltung, der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ und seine Nähe zum wichtigsten Industriestandort und Ballungszentrum machte sie zum bevorzugten Angriffsziel, sodass zahlreiche weitere Angriffe folgten. 

 

Als dann der Vater Ferdinand Besche Ende Dezember 1940 unerwartet und viel zu früh im 55ten Lebensjahr verstarb, blieb die Sorge für die vier Kinder bei der Mutter. Sie wollte die Familie vor dem Bombenkrieg schützen und besann sich auf ihre Verwandten im Sauerland. 

Auf dem Hof Heymer-Schulte (06) in Sallinghausen hatte einst ihre zwanzig Jahre ältere Schwester Elisabeth eingeheiratet. Schwester und Schwager waren bereits gestorben, doch deren Sohn Heinrich und Ehefrau Anna öffneten 1942 ihr großes Haus für die Verwandtschaft, die dem Bombenhagel in Düsseldorf entflohen. 

 

Ein sicherer Ort im Sauerland

Das Wohnhaus vom Hof Heymer-Schulte in Sallinghausen um 1940
Das Wohnhaus vom Hof Heymer-Schulte in Sallinghausen um 1940

Für Gisela Feldmann (Mutter des Autors) begann im April 1944 auf dem Hof Heymer-Schulte ihr Pflichtjahr. Sie beschrieb in ihren Erinnerungen an diese Zeit (07), wie „Tante Threschen“ zur Seele des Hofes wurde. Sie rackerte vom frühen Morgen bis in die späten Abendstunden und erwies sich der Gastfreundschaft ihrer Verwandten würdig. 

 

Auch ihr ältester Sohn, Dr.med. Ferdinand Besche (jun.)  mit Ehefrau Lieselotte, geb. Crux aus Düsseldorf, waren Gast im Hause Heymer. Während Ferdinand als Arzt und Zahnarzt im Gesundheitsamt Düsseldorf-Mettmann abgeordnet war, deswegen nicht zu den Soldaten musste und immer nur für kurze Zeit in Sallinghausen weilte, war seine Ehefrau ständig im Sauerland. Hier wurden die zwei ältesten Kinder der Eheleute geboren:

Die kleine Lieselotte, die später in Kaarst Dr. med. Reinartz ehelichte, wurde im September 1942 in Eslohe geboren. Auch ihr jüngerer Bruder Wolfgang Besche erblickte im Januar 1945 kurz vor Kriegsende im Esloher Krankenhaus das Licht der Welt. Die kleine Familie hatte jetzt Unterkunft in der nahen Nachbarschaft auf Mathweis Hof gefunden. 

Thereses Tochter Gertrud, die Zweitgeborene, hatte sich dem Ordensleben verschrieben und befand sich in Neuss bei den Augustinerinnen. Auch für Sohn Hans, dessen Ehefrau Anneliese und Söhnchen Jochen standen zwei Zimmer in Heymers Haus zur Verfügung. Hans war jedoch, ebenso sein jüngerer Bruder „Minor“, im Kriegsdienst und verbrachte nur die Urlaubszeit in Sallinghausen. 


Bis heute Verbundenheit 

 

Nach Kriegsende im April 1945 stand fest: Alle Familienmitglieder haben die Zeit des Krieges gesund an Leib und Leben überstanden. Sie hatten überlebt. „Es erklärt – neben meiner starken Bindung an meine Großmutter – meine Verbundenheit mit den Verwandten und dem Sauerland“, so schrieb Frau Lieselotte Reinartz, geb. Besche an den Autor.

Und es erklärt auch, warum das über Jahrzehnte gehütete Fotobuch nun seinen Weg zurück nach Eslohe finden sollte. Denn Eslohe war für die Familie Besche gleichsam ein Ort der beruflichen Herausforderung, der Anfang einer nicht endenden Familiengeschichte, ein Zufluchtsort in gefahrvoller Zeit und ein Ort in dankbarer Erinnerung. 

Anmerkungen und Hinweise

 

01. Esloher Forschungen Teil II, Seite 429

02. Esloher Forschungen Teil II, Seite 423

03. Esloher Forschungen Teil II, Seiten 346, 347, 349

04. Esloher Forschungen Teil II, Seite 350

05. Im Buch „Abfahrt 1911“, Seiten 98 und 99

06. Esloher Museumsnachrichten 2018, Seite 22 „Ein Hof erfährt seine Endlichkeit“

07. Esloher Museumsnachrichten 2017, Seite 26 „Als der Krieg ging und der Friede kam“