Die Knochenmühle in Isingheim ist ein steinerner Zeuge des früheren Broterwerbs. Sie gibt Zeugnis darüber, wie der stete Kampf der Menschen um bessere Lebensbedingungen war.
Die wichtigste aller Voraussetzungen war zu allen Zeiten eine ausreichende Grundversorgung an Nahrungsmitteln, die dem Boden nur mit Hilfe harter Arbeit
abgerungen werden konnten. Ein Problem war immer die ausreichende Düngung des Bodens. Während ein Großteil der Flächen sich regelmäßig zur Regeneration sich selbst überlassen wurde und brachlag,
ging man bald zur Dauernutzung des Bodens über. Die Dreifelderwirtschaft war eine Jahrhunderte alte Tradition.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch hierzulande ein stetiges Anwachsen der Bevölkerung verzeichnet. Die Verbesserung der hygienischen und medizinischen Bedingungen war eine Ursache dieser
Entwicklung. Schlechte Witterungsbedingungen führten zu Missernten und die Ernährungslage der Bevölkerung verschlechterte sich zusehends. Diese führte zunehmend zu politischen Unruhen, da es an
Nahrungsmitteln mangelte. Das begründete die Suche nach neuen Anbaumethoden, da mit den bislang üblichen der Bedarf nicht gedeckt werden konnte.
Eine Bodenverbesserung war aber nicht nur durch Fruchtwechsel zwischen Getreide, Hack- und Blattfrüchten zu erreichen. Entscheidend war insbesondere eine verbesserte Düngung des Bodens. Es wurde
nach Alternativen geforscht und bald stellte sich heraus, dass die Phosphorsäure unter den verschiedenen Kernnährstoffen eine besondere und wichtige Stellung einnimmt.
Die Böden des Sauerlandes sind seit je her besonders arm an diesem unentbehrlichen Nährstoff. Da die Phosphorsäure, insbesondere als Baustoff im tierischen und pflanzlichen Eiweiß, also im
Knochengerüst und in den Körnern und Samen der Kulturpflanzen enthalten ist, kam dem Einsatz von Knochenmehl in der Landwirtschaft bereits seit 1830 immer mehr Bedeutung zu. Auch deshalb war der
Betrieb einer Knochenmühle ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen und irgendwie ein kleines Rädchen im Getriebe der Möglichkeiten, die schwierigen
wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in dieser Zeitepoche zu entschärfen.
Die alte Volksweise „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ ist selbst ein Teil erlebter Vergangenheit. In ihrer aktiven Zeit verarbeitete die Isingheimer Knochenmühle pro Jahr circa eintausend Zentner Tierknochen zu Mehl. Aber das ist schon mehr als einhundert Jahre her.
Überliefert wurde das von Fritz Stratmann, dem Vater des jetzigen Besitzers Franz Stratmann. Dessen Schwiegervater, mit Namen Franz Bruder, bezog die Knochen waggonweise von Schlachthäusern aus dem weiten Umkreis. Mit drei oder sogar vier Pferdefuhrwerken fuhr er nachts um zwei Uhr mit Hilfe seiner Nachbarn zum Freienohler Bahnhof. Bis acht Uhr musste der Eisenbahnwaggon entladen sein, sonst waren zwei Mark Standgeld fällig. Das war damals Grund genug, früh aufzustehen. Die Arbeit wurde mit Handarbeit verrichtet, im wahrsten Sinne „Knochenarbeit“.
Nach dem Transport mussten die Knochen bis zu zwei Jahre abgelagert werden, bevor diese trocken und zur Verarbeitung verwendet werden konnten.
Die eigentliche Arbeit in der Mühle ging wohl recht beschaulich zu, wenn man bedenkt, dass ursprünglich ein hölzernes Wasserrad eine alte Kreuzschlagmühle antrieb, wo noch jeder Knochen einzeln
hineingesteckt werden musste. Diese langwierige Arbeit wurde mit dem Einbau eines hölzernen Stampfwerkes, wie es hier heute noch zu sehen ist, erleichtert und auch beschleunigt. Mehrere 65
Kilogramm schwere Stempel zermalmen die durch Abkochen von Flüssigkeit und Fett entzogene Knochenmasse. Die Bezeichnung „Mahlen“ entspricht damit nicht der Verarbeitungsweise, wobei dennoch das
Endprodukt Knochenmehl ist.
Ab der Jahrhundertwende wurde dieses mehr und mehr durch das Thomasmehl ersetzt, das beim Thomasstahl-Verfahren industriell anfiel.
Vermehrt zum Einsatz kam das Knochenmehl wieder in der Zeit des Nationalsozialismus, wo die Eigenversorgung mit Düngemittel politisch propagiert und gefördert wurde. So wurde auch das Knochenmehl
der Isingheimer Mühle wieder begehrt und bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges an die Bauern im näheren Umkreis verkauft. In den Kriegszeiten wurde jedoch das Knochenmahlen untersagt, da das
Material für kriegswichtige Zwecke nutzbar war. Die darin enthaltenen Fette und Öle wurden in der Rüstungsindustrie verwertet.
Das „Herz“ der Isingheimer Knochenmühle ist nach wie vor das mächtige Wasserrad. Es ist ein „oberschlächtiges“ Rad und wurde erst 1952 neu eingebaut. Da die Kraft des fließenden Wassers hier
nicht ausreicht, das Rad unterschlächtig zu betreiben, wird das Wasser der Essel, früher auch „Cobbenroder Bach“ genannt, über einen 350 Meter langen verrohrten Kanal von oben auf das Rad
geleitet. Dieses setzt sich durch den Druck und durch Ausnutzung des Wassergewichtes von vierzig Kilogramm pro Schaufel in Drehbewegung. Je größer das Wasserrad gebaut ist, umso mehr Kraft kann
es auf das Mahlwerk übertragen. Deshalb war das vormals eingebaute alte Mühlrad aus Eichenholz größer. Leider wurde dieses Rad am 10. April 1945 von einer amerikanischen Panzergranate zerstört.
Es würde sich sonst wohl noch heute drehen.
Nach Kriegsende mahlten Stratmanns nur noch für ihren Eigenbedarf, da noch eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb, später nur noch sporadisch, betrieben wurde. Auch heute noch, hat Franz
Stratmann immer noch ein paar abgekochte Knochen bereitliegen. So kann der Achtzigjährige seinen interessierten Besuchern den Betrieb der noch voll funktionstüchtigen Mühle vorführen und
praktisch erklären.
Franz Stratmann war auf seine Mühle mit Recht stolz. (Er starb am 9.2.2020). Einige Arbeit steckt in der Erhaltung des 1985 als technisches Denkmal vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe unter
Schutz gestellten Gebäudes. Zwar gilt die Isingheimer Mühle nicht als Vorreiter der Knochenmühlen hier im Raum, die 1865 in Enkhausen bei Meschede errichtete Knochenmühle galt als Erste dieser
Art, ist aber dem Bau der Hennesee-Talsperre zum Opfer gefallen. So gilt die Knochenmühle in Isingheim, neben den in Westfalen noch bestehenden Mühlen in Fretter und Valbert, als eine Rarität die
erhaltenswert ist.
In den hier bekannten Mühlen wurden ausschließlich Tierknochen verarbeitet. Einen besonderen Beigeschmack hat in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Stadt Hamburg im 19. Jahrhundert ganze
Schiffsladungen Überreste von Friedhöfen und Grabstätten zur Verarbeitung zu landwirtschaftlichen Dünger nach England exportiert hat. Und nicht verschweigen darf man, dass auch das Deutsche Reich
in den besetzten Ostgebieten von 1942 bis 1944 Knochenmühlen zur Spurenbeseitigung zum Einsatz gebracht hat.